Anmer­kun­gen zu media­len Darstel­lun­gen der False-Memory Anschuldigungen: 

Im März / April 2023 erschie­nen sowohl im Spie­gel (Nr.11 vom 11.3. u. 1.4.2023) als auch in der Zeit (1.4.2023) Arti­kel zum Thema False-Memo­ries im Trau­ma­kon­text, fokus­siert auf sexu­elle und ritu­elle Gewalt. Man könnte bei der Gleich­zei­tig­keit, mit der verschie­dene Medien auf diese spezi­fi­sche Art „Anklage“ gegen Therapeuten*innen erhe­ben, schon fast von einer Kampa­gne sprechen.

Grund­lage der Idee der False-Memo­ries ist die Behaup­tung, dass Betrof­fe­nen durch Therapeuten*innen Erin­ne­run­gen einge­re­det und sie damit endlos lang in Thera­pie gehal­ten werden. Aber warum soll­ten Therapeut*innen das tun? Sie alle haben volle Praxen mit langen Warte­lis­ten, können sich also ihr Klien­tel aussuchen.

Sowohl der Spie­gel als auch die Zeit beru­fen sich in ihrer Argu­men­ta­tion auf einen exem­pla­ri­schen Fall und gehen von diesem aus den Weg der Verall­ge­mei­ne­rung. Die Logik spricht hier von einer Kontra­dik­tion, weil sie eben jegli­cher Logik entbehrt. (Eine mögli­che Fehl­erin­ne­rung = alle Erin­ne­run­gen sind falsch!). Igno­riert werden dabei die vielen Betrof­fe­nen, die wegen ihrer anflu­ten­den Erin­ne­run­gen thera­peu­ti­sche Hilfe aufsu­chen. Viele von ihnen kommen mit klaren Erin­ne­run­gen und suchen wegen dieser Flash­backs thera­peu­ti­sche Hilfe und nicht umgekehrt.

Igno­riert wird die Tatsa­che, zu welch grau­en­vol­ler orga­ni­sier­ter und ritu­el­ler Gewalt Menschen Im Laufe der Geschichte schon immer fähig waren: die Inqui­si­tion, die Hexen­ver­fol­gun­gen, die Teufels­aus­trei­bun­gen im kirch­li­chen Kontext, die Menschen­ex­pe­ri­mente der Nazis, die staat­lich legi­ti­mier­ten Folte­run­gen in vielen Teilen der Welt… Wo sind sie alle geblie­ben? Die Sadis­ten in unse­rer „kulti­vier­ten west­li­chen“ Welt? Sowas gibt es bei uns nicht? Nicht mehr? Glaubt das wirk­lich jemand?

In dem Spie­gel­ar­ti­kel vom 11.3.2023 wird einer Betrof­fe­nen (mit ihrer gut nach­voll­zieh­ba­ren Moti­va­tion, ihre Erin­ne­run­gen zu demen­tie­ren) mehr geglaubt, als tausen­den ande­rer Betrof­fe­ner. Die Gedächtnis“forscherin“ Elisa­beth Loftus wird von der Zeit sogar mit der Aussage zitiert, sie wolle lieber zehn Schul­dige frei herum­lau­fen sehen, als einen Unschul­di­gen zu verur­tei­len. Wie zynisch und brutal muss man sein, um lieber zuzu­las­sen, dass eine Viel­zahl an Menschen leiden und Krimi­nelle weiter ihre Taten bege­hen als Betrof­fene vor sexu­el­ler orga­ni­sier­ter Gewalt schüt­zen zu wollen?

In all diesen Arti­keln über sugge­rierte, einge­pflanzte Erin­ne­run­gen durch Therapeuten*innen wird weder unter­schie­den zwischen Verges­sen (und dem Wieder­erin­nern), Verdrän­gen (und Erin­ne­rungs­clus­ter zurück­ho­len) und der disso­zia­ti­ven Barriere (und der ihr eige­nen Erin­ne­rungs­pro­zesse). Es wird unter­stellt, dass wer sich nicht an solch gravie­rende Erleb­nisse erin­nern, diese auch nicht erlebt haben kann.

Es werden Expe­ri­mente (1) benannt, die die These von einge­re­de­ten Erin­ne­run­gen unter­mau­ern sollen aber Unter­su­chun­gen, die die Ergeb­nisse dieser soge­nann­ten „Mall-Expe­ri­mente“ wider­le­gen und deren Verfäl­schun­gen aufzei­gen (2) werden wegge­las­sen. Beispiels­weise wurde in einer Studie von Dale/Allen (3) fest­ge­stellt, dass 69 % der Miss­brauchs­op­fer sich immer erin­nert hatten, 19 % teil­weise und 30 % über eine lange Zeit lang über­haupt nicht. Sogar Eliza­beth Loftus fand 1994 noch in einer Studien (4) heraus, dass immer­hin 19 % der Frauen mit Miss­brauchs­er­leb­nis­sen von amnes­ti­schen Zeiten für diesen Miss­brauch berichteten. 

Es findet in den aktu­el­len Medi­en­ar­ti­keln keine kriti­sche Ausein­an­der­set­zung statt, sondern eine einsei­tig tenden­ziöse Beweis­füh­rung entlang einer unbe­wie­se­nen Hypo­these. Die Frage sei gestat­tet, wozu und wem dient diese einsei­tige Darstel­lung? Der Spie­gel leis­tet sich sogar den klaren jour­na­lis­ti­schen Faux Pas, eine nicht­ver­ur­teilte Thera­peu­tin mit vollem Namen eines (…) Fehl­ver­hal­tens zu beschul­di­gen – (das Wört­chen „vermeint­lich“ fehlt ganz!) Die beiden Jour­na­lis­ten schei­nen statt­des­sen von „Tatsa­chen“ auszu­ge­hen. Und sie begrün­den die Offen­le­gung des Namens der Thera­peu­tin mit der Schwei­ge­pflichtsent­bin­dung durch die Betrof­fene, die diese aber doch nur gegen­über der Thera­peu­tin ausspre­chen kann!

In einem Beitrag auf DIS-obey 073 bei YouTube (5) gehen die „lunis“ Punkt für Punkt den Spie­gel­ar­ti­kel durch und nehmen zu fast jedem Satz kritisch Stel­lung. Wer also die Gegen­seite hören möchte, sollte sich die Zeit für diese ausführ­li­che Ausein­an­der­set­zung nehmen. In der ARD Audio­thek findet sich ein Radio-Feature vom 5.2.2023, in dem beide Seiten zu Wort kommen (6).

Da wir schon vor etwa 25 Jahren in den USA eine orga­ni­sierte False-Memory-Kampa­gne erlebt haben, mit den unsäg­li­chen Prozes­sen gegen Therapeuten*innen und nun aus der Schweiz eine ähnli­che Dyna­mik nach Deutsch­land (Verein False Memory Deutsch­land) schwappt, soll­ten wir gewapp­net sein und mitein­an­der unsere Erfah­run­gen und Posi­tio­nen klären! Wir stel­len uns seit Grün­dung des Zentrums für Psycho­trau­ma­to­lo­gie e.V. Kassel an die Seite von komplex trau­ma­ti­sier­ten Menschen und nehmen sie mit ihrem Erleb­ten ernst.

Wir wissen aus den letz­ten Jahren, dass die Verleug­nung der schwe­ren Straf­ta­ten im Rahmen sexu­el­ler Gewalt der kosten­güns­tigste Täter­schutz ist. Und die Verleug­nung einer ganzen Opfer­gruppe kann nie den Betrof­fe­nen dienen!

  1. Loftus, E. F., Feld­man, J., & Dashiell, R. (1995). The reality of illu­sory memo­ries. In D. L. Schac­ter (Ed.), Memory distor­ti­ons: How minds, brains, and socie­ties recon­s­truct the past (pp. 47–68). Harvard Univer­sity Press.
  2. Studie von Bliz­zard u. Saw 1999
  3. Dale/Allen 1998
  4. Loftus, E. F., Polon­sky, S., & Fullil­ove, M. T. (1994). Memo­ries of child­hood sexual abuse: Remem­be­ring and repres­sing. Psycho­logy of Women Quar­terly, 18(1), 67–84.
  5. https://www.youtube.com/@dis-obey
  6. https://www.ardaudiothek.de/episode/radiofeature/falsche-erinnerung-doku-ueber-false-memory-und-sexuelle-gewalt/bayern‑2/12350341/

Die Deutsch­spra­chi­gen Gesell­schaft für Psycho­trau­ma­to­lo­gie DeGPT bittet Patient:innen, die sich in ihrer psycho­the­ra­peu­ti­schen Behand­lung grenz­über­schrei­tend, mani­pu­liert  und/oder  fehl­be­han­delt fühlen, wie auch fach­li­ches Perso­nal (z.B. Psychotherapeut:innen, Fachärzt:innen), die sich Vorwür­fen ausge­setzt sehen, sich an die Ethik­kom­mis­sion der DeGPT (info@degpt.de) zu wenden, um das versor­gungs­re­le­vante Ausmaß der Beein­träch­ti­gung und des tatsäch­lich hervor­ge­ru­fe­nen Scha­dens in der realen Versor­gung dieser Patient:innengruppe abschät­zen zu können. Zur Stel­lung­nahme der DeGPT kommen Sie hier.